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Montag, 10. Juni 2013
Marlene
Es war an einem Sonntag und der Abend hieß Marlene.
Warum er Marlene hieß, dass wusste Paul nicht, ebenso wenig wie er wusste, was er eigentlich in dieser Straße tat, aber er wusste, dass der Abend Marlene hieß. Schließlich wusste er ja auch, dass er in dieser Straße war.
Er war auf dem Heimweg gewesen, nachdem er in der Stadt war weiß was alles gekauft hatte, und da hatte er plötzlich dieses obskure Gefühl gehabt, als ob er in diese Straße fahren und anhalten sollte. Aus irgendeinem irrationalen Grund hatte er es dann auch getan und dann war dieser Name aufgetaucht.
Warum er gar nicht erst auf den Gedanken gekommen war, Marlene könnte für eine Frau stehen, das wusste er auch nicht.
War es denn nicht auch völlig egal, ob er es wusste?
Er wusste es nicht, aber es war ihm egal.
Einmal, viele Jahre zuvor hatte er eine Freundin gehabt, die Marlene hieß. Ein nettes Mädchen, zu schüchtern vielleicht, aber sehr hübsch und nicht dumm. Kurz fragte er sich, warum er nochmal mit ihr Schluss gemacht hatte, aber dann verwarf er den Gedanken wieder - auch das war egal. Er würde schon seine Gründe gehabt haben.
Eine Straßenlaterne warf ihren Kreis aus orangenem Licht auf die grauen, quadratischen Pflastersteine. Warum waren sie eigentlich grau, bei Nacht? Warum war die Nacht nicht zum Beispiel grün? Lag es an der Nacht oder lag es am Grau? Oder an etwas anderem?
Paul fror. Die seltsame Intuition sagte ihm scheinbar nicht, was er in dieser Straße an diesem Abend, Marlene, tun sollte. Immerhin wusste er ja, dass er hier sein musste und vielleicht war das schon mehr als andere wussten.
Er hüpfte ein wenig auf der Stelle und drehte sich im Kreis. Da hinten, in der Ecke, da bewegten sich graue Schemen vor grauer Dunkelheit. Paul kniff die Augen zusammen.
Unregelmäßiges Muster aus Grau.
Sanfte Bewegungen, pochender Rhythmus.
Lichtpunkte und Schattenpunkte.
Wie ein Zittern, fast.
Jetzt sah er, was es war. Beinahe hätte Paul gelacht. Ein Busch, nur ein Busch, bewegt vom Wind.
Marlene, dachte er. Was für ein schöner Name, eigentlich. Und was für eine schöne Straße, auch wenn sie ihm nichts sagte und auch wenn er sie nicht kannte.
Eine Weile stand er noch da, ganz ruhig und mit diesem seltsamen Gefühl von Offenheit, als habe er Helium im Kopf, das langsam durch seine Kopfhaut austrat und ihn am Boden zurückließ, befreit.
Dann öffnete er die Fahrertür, stieg ein.
Fuhr nach Hause.