Sag nur ein Wort und ich schreibe dir eine Welt...
Freitag, 3. Mai 2013
Existenz.
Minutenlang starrte sie auf ihr Bild in dem kleinen, strahlenden Teich, der sich unter ihr ausbreitete und einem kleinen Frosch Heimat bot, der jetzt an ihr vorbei ins Wasser hüpfte und das seltsame Abbild ihres Ichs in Kreisen verschwimmen ließ, während sie immer noch darauf starrte und das Wasser nicht sah. Ihr Kopf war voller Fragen.
Das war sie? Das war die Hülle des Ichs, das sie in ihrem Kopf herumtrug? So sahen sie also die anderen. Auf seltsame Weise passt ihr der Körper nicht, der sie mit sich herumschleppte. Sie war nicht hässlich, keine Frage, manch ein von Hormonen geblendeter Mann hätte sie vielleicht sogar schön gefunden. Das schwarze, beinahe grünlich schimmernde Haar, graue Augen, streng zusammengekniffen, fast stechend.
Die Vorstellung, dass jeder andere sie so kannte, außer ihr selbst war beinahe zum Lachen. Was mochten die anderen wohl denken, wenn sie nicht ihr inneres Ich kannten, sondern nur dieses absonderliche Mädchen mit dem schönen Lippen und dem schlanken, fast noch knabenhaften Körper?
War ihr Körper in ihren Gedanken ebenso Teil ihrerselbst wie ihre Worte und Taten? Vermischte es sich in ihren Köpfen zu einer Einheit? Wie mochte diese Einheit wohl aussehen, fragte sie sich, wie mochten sie sie empfinden, wie ansehen. Bisher hatte sie in ihren Blicken nur den Blick auf sich selbst gesehen. Aber das war es ja auch, nur auf einen Teil von sich, den sie nicht kannte.
Verwirrende Gedanken, dachte sie, und scheuchte sie weg, indem sie aufsprang und davonrannte. Natürlich hatte sie sich schon einmal im Spiegel der Natur gesehen, aber das war meist bei Jagden, beim Wasserholen, beim Schwimmen. Nie war sie auf den Gedanken gekommen, sich lange damit aufzuhalten, wie sie aussah. Eigentlich war es auch ziemlich irrelevant. Aber jetzt, wo ihr langsam bewusst wurde, dass ihr Körper einen Teil von ihrem Ich bildete machte sie sich langsam darüber Sorgen. Sie wünschte, sie hätte einen anderen Körper. Einen, der besser zu ihr passte. Größer. Stärker. Mehr... mehr wie eine Wilde als wie ein falsch angezogenes Stadtmädchen. Denn das war sie schon so lange nicht mehr. Kein Mädchen, dass sich Blumen in die Haare flocht. Eine Kriegerin, oder wenn nicht das, dann doch auf jeden Fall eine Kämpferin, denn das tat sie doch jeden Tag: Sie kämpfte um ihr Leben.
Später, als sie ein paar Kaninchen über einem Feuer räucherten, fragte sie Milan danach. Er lachte laut auf und wuschelte ihr durch die ohnehin zerzausten Haare.
"Nadja, Nadja! Was du dir für Gedanken machst. Hast du vor, dir demnächst Kleidchen zu kaufen und durch den Wald zu springen und geziert zu lachen?"
"NEIN", schrie sie, entsetzt, was er von ihr dachte. Er lachte noch lauter.
"Na siehst du. Dein Körper ist doch gut so, wie er ist! Außerdem, was schert dich schon dein Körper, solange er funktioniert."
"Ich finde, er passt nicht zu mir!", murmelte sie.
"Natürlich passt er zu dir. Is schließlich deiner."
"Vielleicht sollte ich mir die Haare abschneiden."
Darüber dachte er nach und zuckte schließlich die Schultern.
"Wenn es dir hilft..."
Sie nickte, dann rannte sie weiter, fand Pelli in einem Baum sitzend und kletterte zu ihm hinauf. Er rührte sich nicht, wie immer, aber das war ja keine Überraschung. Kopfüber hängte sie sich an einen Ast, der über seinem Gesicht baumelte und legte sanft ihren Kopf auf seine Schulter, worüber er nun doch schmunzeln musste.
"Hallo, mein Mädchen", sagte er zärtlich, die tiefe Stimme ließ seinen Körper leicht brummen.
"Hallo Pater", zwitscherte sie, und versuchte mit der Hand an das Messer in seinem Gürtel zu kommen, doch selbstverständlich schnappte er es ihr wieder weg, die Bewegung rasch und viel geschickter, als man es von dem alten Greis erwarten konnte.
"Ich will mir die Haare abschneiden", erzählte Nadja.
"Das brauchst du nicht im ganzen Wald herumzuschreien. Ich wusste es ohnehin. Wirst du es Marie machen lassen?"
Das wusste sie nicht. Eigentlich hatte sie sich auch noch keine Gedanken darüber gemacht, wie sie ihre Frisur verändern wollte, sie wusste nur dass und das musste schließlich alle interessieren.
ausschnitt ist toll. tolle beschreibungen und gedanken, auch der dialog ist sehr gut. ich bin begeistert! auch sehr flüssig geschrieben. liest sich, als wärest du in einem guten flow beim schreiben.
War ich - allerdings ist es kein Ausschnitt. Die Geschichte, um es auszuschneiden existiert nicht. Es war einfach nur eine spontane Eingebung...
Vielen Dank!