Mittwoch, 30. Juli 2014
Outsider
Wir sind in der Restmüllverwertung gelandet,
Als ihr euer Schubladensystem ausgemistet habt.
Denn wir sind nicht recyclebar.

Wir werden verbrannt,
Wie Beweismaterial,
Wenn ihr die Sünden eurer Welt zu verdecken sucht,
Und dabei sind wir die einzigen, die sie vergeben könnten.

Ausgemusterte Gefühlsregungen?
Ab damit in die Wertstofftonne!
Aber pass auf, dass du deine Homosexualität ja in den Restmüll tust!

Wie, du hast Zweifel?
Sofort in die Waschanlage und dann schnell neuen Lack!
Das können wir doch nicht zulassen, dass du dich so schmutzig machst!

Du passt nicht ins Bild!
Am besten wir streichen dich aus dem Skript.
Die Menschheit ist doch sonst verwirrt.

Das verstehe ich nicht,
Das musst du korrigieren,
Das kann nicht stimmen.

Dieses Wort sieht komisch aus.
Delete!

Wir sind in der Restmüllverwertung gelandet,
Denn wir sind nicht recyclebar.



Ihr seht, das Thema beschäftigt mich. Kann sein, dass noch weitere Texte dieser Art kommen, bis ich endgültig zufrieden bin...
Alles Liebe,
Mer-Yan



Samstag, 26. Juli 2014
Fuck labelism
Wenn ich über die Straße gehe,
dir in die Augen sehe,
Schaust du zurück und ich kann sehen, wie dein Schubladensystem greift.
Wie du Ordnung in deine Gedanken bringst,
Einen Aufkleber rausholst um mich auch ja richtig zu beschriften
Und zur Not die Informationen,
die du aus meinem Gang zu sehen glaubst,
auf die richtige Größe Zuschneidest.

Wenn ich dich anspreche,
Rattern schon die Zahnräder und setzen die Roboter in Gang
Um jedes Teil von mir ins richtige Regal zu stellen.
Ich sehe, wie sie alles, fein säuberlich zerlegt,
Unterbringen und abnummerieren,
In die Steuererklärung eintragen und sich einen Vermerk in den Fußnoten machen.

Wenn ich dir wirklich in die Augen sehe,
Dann erkenne ich, wie etwas in deinen größer wird,
Wie deine Festplatte überhitzt und wie du verzweifelt mit der Schere herumwirbelst.
Weil ich nicht reinpasse in deine Schubladen
Und keines deiner Regale die passende Beschriftung für mich trägt.

Warum versuchst du es nicht mal mit Chaos?
Wirf die Regale um und verstreu den Inhalt deiner gut gehegten Schubladen
Auf dem Zimmerboden.
Dann reiß die Zimmerwände ein und lass alles hereinregnen,
Lass eine Druckwelle entstehen,
Die überall die Wände niederreißt,
Und lass uns aufhören mit dem Beschriften.

Die Welt behauptet,
Sich entwickelt zu haben.
Wir sind doch, hier in Deutschland, alle aufgeklärte Leute.
Wir haben studiert,
Wir leben nach dem Buch und unser Allgemeinwissen steht hoch im Weltrang.

Ja, doch, wir haben viel gelernt und können unsere Welt verstehen.

Ihr habt tatsächlich geglaubt, ihr hättet die Welt in eure Schubladen sortiert.
Und was ist passiert, mit den überstehenden Teilen?
Wo habt ihr die Abfälle entsorgt, die entstehen,
Wenn ihr an allen Enden Teile absägt?

Hört endlich auf, uns einzuteilen!
Wir sind nicht rationalisierbar!
Was ist das für ein Zwang, alles zu benennen?
Sprache reicht weit, aber wahre Schönheit liegt doch immer im Unaussprechlichen.
Im Unbegreiflichen.

Haben tausende von Jahren Existenz nicht gereicht um zu verstehen, dass wir niemals alles verstehen können?

Mer-Yan



Sonntag, 20. Juli 2014
Humbolt
Gut zu sehen, dass die Berliner Studenten noch Humor haben...
Humbolt
Mer-Yan



Mein Berlin
Für eine Schulaufgabe (Studienfahrt nach Berlin) dieses poetisch angehauchte Stadtprofil...


Mein Berlin. Natürlich kann niemand das wirklich sagen. Berlin ist keine Stadt die irgendjemandem gehört. Berlin gehört gleichzeitig allen und niemandem. Am ehesten gehört es vielleicht den Tauben auf den Häusern.
Berlin, das heißt Geschichte und Vergangenheit. Es heißt Mauer und Trennung, aber auch Wiedervereinigung und Neuanfang. Es heißt Luftbrücke, es heißt Holocaust-Denkmal und Stasi und Potsdamerkonferenz und so vieles mehr. Berlin ist eine gezeichnete Stadt, eine Stadt mit einem vernarbten Gesicht und Augen, in denen man sieht, dass sie alles überleben können. Dass sie alles überlebt haben. Eine Stadt mit gerunzelter Stirn und Lachfalten um die Mundwinkel. Diese Stadt hat so viel erlebt, eine unglaubliche Zerstörung und den Wiederaufbau, Morde und Geburten, Trauer und Freude, und man kann es sehen. Wenn man die Augen aufmacht und hinsieht, dann kann man die Details erkennen, die sich in jeder Ecke verstecken, kleine Zeichen und Dinge die alle ihre ganz eigene Geschichte von Berlin erzählen. Nur derjenige, der sie alle gesehen hat, der jede Geschichte gehört hat, der kann behaupten, dass er Berlin wirklich kennt.
Berlin, das heißt Politik und Macht. Es heißt Reichstag und Bundestag und Regierungsviertel, es heißt Parlament und rotes Rathaus, Diskussionen und Demonstrationen. Es heißt neue Anstöße in der Politik, es heißt Aktionen und Reaktionen, es heißt große, aufsehen erregende Proteste wie den CSD oder kleine, unauffällige an Laternenpfählen und Ampeln. Es heißt Wissenschaft und Universität, lernen und lehren, sprechen und lesen und Austauschen, neu entdecken und wiederentdecken, belegen und widerlegen.

Berlin, das heißt Kunst und Musik und Literatur. Es heißt Abenteuer und Straßenpoesie, es heißt Fête de la Music, es heißt Museumsinsel und Volksbühne und komische Oper, Straßenkunst und Grafity. Es heißt alternative Künstlerverbände, Hipster und unterirdische Ateliers mit viel zu wenig Licht an der Bergmannstraße in Kreuzberg. Es heißt Gartenbauprojekte auf dem Tempelhofer Feld und es heißt Menschen, die sich Zeit nehmen, mit winzigen Gesten Kunst und Schönheit durch die ganze Stadt zu verstreuen. Neue Ideen, neue Lebensweisen, unendlich viele verschiedene Kulturen.
Berlin, das heißt auch der Blick nach unten, damit man nicht in Hundescheiße tritt, unendliche Baustellen, zerkratze U-Bahn-Fenster, Spritzen auf der Straße und im Sommer trockene Brunnen, weil die Stadt nicht genügend Geld hat. Müllmänner mit Überstunden und blutig zusammengeschlagene Männer auf dem Potsdamerplatz, weil eine Gruppe Halbstarker fand, sie sähen schwul aus. Es heißt auch Villenviertel, in denen niemand weiter nach unten sieht als er unbedingt muss.
Aber was Berlin wirklich ausmacht, das sind seine Menschen. Das sind die Mütter, die in letzter Zeit in Horden die Spielplätze belagern. Die Drogenhändler in der Hasenheide, die türkische Familie die scheinbar jeden Samstag einen Geburtstag feiert. Das sind die Obdachlosen und die Aluminium-Frau, die immer an der Hermanstraße in die U-Bahn einsteigt und so zerbrechlich aussieht, wenn sie um Geld bettelt. Das sind die Grafitykünstler, die sich friedlich mit einem Polizisten über den Sommer unterhalten. Das sind die Punks, die in Gruppen durch die Gegend ziehen, das sind die reichen alten Frauen, die bei Dussmann einkaufen und direkt danach im Kleidergeschäft verschwinden. Das sind die Touristen, die die Stadt durch den Sucher ihrer Kameras betrachten. Das sind die Musiker und die Hipster, die Künstler und die Alternativen. Es sind auch die ganz normalen Menschen, die einfach nur vor sich hinleben.
Gemeinsam haben sie nur dieses bestimmte Berliner Gefühl. Verrückt, verschroben, berlinerisch.
Und genau darauf freue ich mich am meisten, wenn ich daran denke, nach Berlin zu fahren. Mich wieder hineinzustürzen in diese Verrücktheit und wieder in der Masse meiner Geburtsstadt zu verschwinden. Die verschmutzte Großstadtluft tief einzuatmen, dem Fahrradfahrer aus dem Weg zu springen, der sich mit wildem Klingeln Durchlass verschafft, mir von dem kleinen Zettelfetzen an der Hauswand seine Geschichte erzählen zu lassen und genau zu wissen, dass ich wieder in Berlin angekommen bin.


Berlin war übrigens richtig geil, wenn auch extrem anstrengend...
Alles Liebe,
Mer-Yan