Sonntag, 6. April 2014
Mal etwas Wissenschaftliches
Derzeit gibt es (Konzertbedingten) Besuch der Großeltern, was wie üblich zu höchst interessanten Diskussionen führt.

Angefangen beim Schneiden des Hörbuches (sh. weiter unten), das wir heute bei Tina fertiggestellt haben, erkläre ich Oma (für ‚alte‘ Leute), wie man heutzutage Filme und Hördateien schneidet (per Computer), und Großvater erzählt seinerseits vom Zusammenkleben und erneutem Pressen der Tonbänder. Darüber kommt das Gespräch auf das „Zerschneiden und Zusammenkleben“ von DNA, was Großvater wohl vor einigen Jahren in einer Fortbildung für Professoren über Gentechnik und deren Ethik, die er besucht hat, selbst ausprobieren konnte (neidisch).

Dort durften sie zunächst ihre eigene DNA testen und ihren „Genetischen Fingerabdruck“ bestimmen, was dort über Blut funktioniert, nicht, wie mein Vater vermutete, über Haare oder Hautschuppen (was ich eigentlich auch nicht für sehr wahrscheinlich gehalten hatte – dank Biologie-Unterrichts). Daraus konnten sie dann die Basenreihenfolge bestimmen. Den genauen Aufbau dieses Versuches hatten wir übrigens tatsächlich bereits im Biounterricht durchgenommen, und zwar anhand eines Filmes, von dem ich zwar dank eifriger Ablenkung seitens einer damals herrlich tief in einer Beziehungskrise steckenden Freundin nur die Hälfte mitbekommen habe, der mir aber doch annähernd das Gefühl vermittelt hat, mich mit diesem Gebiet zumindest schon einmal gedanklich beschäftigt zu haben.

Der nächste Versuch, der in besagter Fortbildung mit den Pfarrern oder besser von den Pfarrern durchgeführt wurde, war die Herstellung von laktosefreier Milch, welche durch das Auseinanderschneiden (mithilfe von Enzymen die jeweils einen bestimmten Nukleotid angreifen) einer Milch-DNA bewerkstelligt wurde. Hatte man die DNA also in zwei Hälften geschnitten (wobei ich mir recht sicher bin, dass mein Großvater entweder ebenfalls bei der Erklärung nicht ganz geistig anwesend war, oder, um die allgemeine Verwirrung nicht noch mehr zu verstärken, den Vorgang nicht in seinen gesamten Einzelheiten beschrieben hat), fügte man einen Stoff hinzu (Mist, vergessen), der die laktoseproduzierenden Verbindungen in der MilchDNA angriff und somit den Laktoseanteil in der durch Replikation hergestellten Milch verschwindend gering werden ließ.
(Insgesamt war der Erlebnisbericht meines Großvaters sehr interessant und es ärgert mich enorm, mir nicht sämtliche Einzelheiten gemerkt zu haben. Was ich aber noch weiß ist der Tagesablauf: Morgens Laborarbeit, ab mittags wissenschaftliche Wissenserweiterung durch einen Professor und ab 18 Uhr abends offene Diskussion über die ethischen Möglichkeiten, Schwierigkeiten und Grenzen von Gentechnik. Insgesamt wurde die Fortbildung wohl von einem Biochemischen Institut angeboten, um interessierten Kirchenmitgliedern einen Zugang zu den neuen Technologien zu bieten und gleichzeitig, um deren ethisch-religiöse Meinung darüber einzuholen.)

Der Erlebnisbericht meines Großvaters führte dann zu unwissend-interessierten Fragen meines Vaters, so zum Beispiel der leicht entsetzte Einwurf, ob laktosefreie Milch denn tatsächlich ausschließlich durch Gentechnik herzustellen sei. Tatsächlich ist das so (Es sei denn, man verwendet Sojamilch), allerdings auch theoretisch nicht besonders schlimm, da dadurch weder Nebenwirkungen erzeugt werden, noch sonstige Schäden entstehen. Meine Mutter, die in Sachen Gentechnik generell skeptisch ist, brachte darauf das Beispiel des genmanipulierten Maises, welcher ja in der Tat (zu Recht) sehr umstritten ist (für alle, die, wie ich bis vor kurzem, nicht genau Bescheid wissen: der genmanipulierte Mais hat zwar den Vorteil von schnellerem Wachstum und größerer Schädlingsresistenz, zieht aber auch einige Nachteile mit sich, unter anderem die, dass er aggressiv gegenüber natürlichen Maissorten ist und diese nach und nach absterben, zum anderen, dass er die pflanzliche Grundstruktur grundlegend verändert und somit ungeahnte Folgen für die gesamte Flora haben könnte).
Daraufhin entbrannte eine heiße Diskussion über die moralische Rechtfertigung von Gentechnik und von Forschung um der Forschung Willen insgesamt (die Hauptteilnehmer meine Mutter, mein Großvater und ich, da wir, vermutlich erblich bedingt :D, eine ähnliche Art zu diskutieren haben: Nämlich diejenige, so oft das Wort zu ergreifen, wie möglich, wodurch meine Oma und mein Vater mit ihren Redeanteilen ein wenig hinter uns zurückblieben.)

Für euch nur die Standpunkte in Kurzfassung:

Meine Mutter, strikt der Meinung, dass man in Sachen Gentechnik strikte Grenzen ziehen muss, zwischen dem, was moralisch vertretbar ist und was nicht und das man deshalb manche Forschung, möge sie der Menschheit auch möglicherweise tatsächlich Nutzen bringen können, zurückstellen muss, aus dem schlichten Grund, dass durch sie Dinge und Ereignisse hervorgerufen werden können, die der natürlichen Grundordnung und damit vielleicht auch der Natur an sich zuwiderlaufen und so sehr gefährlich werden können. (Ein Standpunkt, den ich zum Teil sogar teile, allerdings in einer etwas abgemilderten Form.) So zum Beispiel das Klonen, das sie sehr strikt ablehnt (auch eine Sache, die ich so unterstützen kann). Außerdem findet sie, dass ein Wissenschaftler dazu verpflichtet ist, sich stets mit den möglichen Folgen seiner Forschung auseinandersetzen muss, was sie wiederum mit einem doch recht ausdrucksstarken Beispiel eines mit ihr befreundeten Chemikers unterlegte, welcher für ein Chemisches Institut arbeitet und in deren Auftrag neue Stoffverbindungen herstellt oder hergestellt hat. Als sie ihn fragte, was denn mit den entwickelten Stoffen geschehe, habe er nur mit den Schultern gezuckt. Auch auf ihre Frage, ob seine Ergebnisse denn für Chemiewaffen eingesetzt werden könnten, habe er nur ein Schulterzucken als Antwort gehabt. Eine Einstellung wie diese läuft der meiner Mutter sehr zuwider. (Ethik und Philosophie sind ihre Schwerpunkte, weshalb das natürlich auch verständlich ist.) Mein Plädoyer für die wissenschaftliche Forschung missfiel ihr ebenfalls: Ihrer Meinung nach darf ein Wissenschaftler nur für die Menschheit und nicht um der Forschung selbst Willen forschen und muss sich der Folgen seiner Ergebnisse immer bewusst sein.

Mein Großvater, (seinerzeit ein sehr informierter Mann übrigens, immer wieder faszinierend, wieviel ein Mensch wissen, und wieviel er auch im eher fortgeschrittenen Alter noch lernen und wiedergeben kann. Meine Freunde behaupten auch hartnäckig, dass sein Titel als „wandelndes Lexikon“ vererbbar sei – und bei mir seinen Erben fände. Eine Theorie, die ich ebenso hartnäckig bestreite), der sich bereits von Begin der Forschung an (oder jedenfalls kurz danach) mit dem Thema beschäftigt und auch als sehr christlicher Mensch seine Gedanken darüber hat, unterstützt schon eher den Traum einer freieren Wissenschaft, allerdings ebenfalls auf der Grundlage der menschenfreundlichen (besser: Für den Menschen als solchen erfolgenden) Forschung: Im Bereich der Grenzziehung zwischen ethisch-moralisch vertretbaren und nicht vertretbaren Eingriffen in den natürlichen Vorgang, sieht er eine große Schwelle zwischen der Forschung und genetischen Änderung an Keimen, also embryonen Stammzellen, und der an adulten. Die fertige DNA in der Milch zu verändern (um noch einmal auf das vorhin genannte Seminar zurückzugreifen), sei also vertretbar, die sich entwickelnde DNA von Mais zu verändern dagegen nicht, weil die Folgen einer solchen Änderung nicht absehbar sind. (Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Es ist leichter zu rechtfertigen, einem erwachsenen Mann einen Arm abzuhacken, als ein Embryo genetisch so zu verändern, dass die Bildung eines Armes gänzlich unmöglich wird. (Obwohl beides natürlich nicht grade schön ist)) Auch vertritt er die Meinung, dass gewisse medizinische Fortschritte ohne Stammzellenforschung und Gentechnik nicht möglich wären. (hierbei hatten wir es unter anderem auch von Insulin, das ja früher durch das Extrahieren des Stoffes aus Schweine- und Rindermägen (ja, Ihhh, in der Tat) gewonnen wurde, inzwischen jedoch gentechnisch hergestellt wird. Meine Mutter unterlag hierbei der falschen Annahme, dass chemisches Insulin stärkere Nebenwirkungen habe als „natürlich“ gewonnenes. Diese Tatsache war zu Beginn tatsächlich richtig (wie mein Großvater bestätigte), das lag aber daran, dass das chemische Insulin so viel reiner und damit stärker war und direkter wirkte, dass man die Dosierung falsch eingeschätzt hatte. Inzwischen ist das aber geklärt und da chemische Insulin wirkt deutlich besser, und ist vor allem einfacher und in größeren Mengen herstellbar. Um die Menge an Insulin, die heute von Diabeteskranken benötigt wird, zu gewinnen, müsste man ungefähr sämtliche Rinder, Pferde und Schweine schlachten, die auf der Welt existieren.) Wie meine Mutter vertritt er jedoch den Standpunkt, dass bei der Forschung darauf geachtet werden muss, wer diese finanziert, und wer daran verdient. Auch waren wir uns wohl alle drei einig, dass die „Bekämpfung des Welthungers durch Genmais“ nichts weiter ist, als der Versuch, am Welthunger Geld zu verdienen (Da der Welthunger zumindest momentan kein Resultat von zu wenigen existierenden Lebensmitteln ist, sondern viel eher der ungerechten Verteilung dieser und der Unfähigkeit vieler Menschen, vorrausschauend zu denken und zu teilen.)

All diese Standpunkte kann ich kaum als gänzlich falsch abtun, nein, viele von ihnen unterstütze ich tatsächlich sehr. Andererseits finde ich aber auch immer, dass die Forschung an sich ebenfalls ein Wert ist, den es zu unterstützen lohnt. Selbstverständlich sollten Chemiker, Physiker, Mediziner und Biologen immer ein gewisses Bewusstsein für die Folgen ihrer Taten besitzen und ich würde nicht mal im Traum die Entwicklung der Atombombe, oder zumindest ihren Einsatz rechtfertigen (Nein, Mama, tatsächlich nicht), aber ich kann Oppenheimer nicht allein für die Erkenntnis und die Forschung verdammen. Der spätere Umgang mit der Erfindung war selbstverständlich falsch, der Forschungsansatz aber, meiner Meinung nach, nicht grundsätzlich. Und ich weiß nicht, ob ich als Chemikerin tatsächlich die finanzielle Unterstützung einer vom Militär geförderten Universität grundsätzlich ablehnen würde, wenn ich dadurch die Möglichkeit bekäme, gänzlich neue und unerforschte Prozesse zu installieren und vielleicht sogar neue Nutzungsmöglichkeiten finden könnte. Die ja wiederum, möglicherweise, auch der Menschheit dienen könnten! (Trotzdem würde ich mich selbstverständlich stets bemühen, damit das Töten zu verhindern und nicht zu fördern!!!) Aber selbst, wenn sie es nicht direkt tun: Sicherlich werden solche Forschungsergebnisse irgendwann eine Grundlage für ein menschheitsdienliches Experiment bilden können! Und ich denke nicht, dass man aus provisorischer Ablehnung gegenüber möglichen Folgen einer wissenschaftlichen Erkenntnis den Fortschritt der Forschung aufhalten sollte! Und nicht alle neuen Theorien und Erkenntnisse führen zu schädlichen Folgen! Manche können revolutionär sein, können neue Plätze schaffen, neue Heilungsmöglichkeiten, neuen Frieden. Vielleicht kommen sie, oder ihre Grundlagen nicht von Menschen mit absolut reinen Herzen und ethisch-moralisch total korrekten und aufrechten Gedanken. Aber vielleicht können sie solchen Menschen helfen!

Mer-Yan